Einsamkeit ist ein ernstes Problem unter älteren Menschen in Europa. Eine halbe Million älterer Erwachsener allein in Großbritannien verbringen mindestens fünf oder sechs Tage pro Woche, ohne jemanden zu sehen oder mit jemanden zu sprechen (AGE UK 2016). Chronische Gefühle der Einsamkeit können Menschen in eine Spirale der sozialen Ausgrenzung hinabziehen. Ältere Menschen mit geringeren Lese- und Schreibkenntnissen sind besonders von sozialer Ausgrenzung bedroht, da die Teilhabe an der heutigen wissensbasierten Gesellschaft sehr stark auf der Fähigkeit zu lesen und zu schreiben basiert. Geschichtenerzählen kann ihnen helfen, ihrem Leben einen Sinn zu geben und sich mit ihrem sozialen Umfeld zu verbinden.
„Sharing Stories, Sharing Life“ ist der Titel eines durch die EU geförderten dreijährigen Projekts, das gemeinsam von GERO mit Partnern aus den Niederlanden, Österreich und England ins Leben gerufen wurde. Im Mittelpunkt steht das Vorbeugen von Einsamkeit und die Verbesserung des emotionalen Wohlbefindens durch das Mit-„teilen“ (engl. sharing) von bedeutsamen Erlebens-„Geschichten“ (engl. stories).
Das Sharing Stories-Prinzip basiert auf einem narrativen biographischen Ansatz. Mit der Sharing Stories-Methode soll gelernt werden, alles Schwere und Belastende nicht etwa zu verdrängen oder zu leugnen, sondern den Fokus zu verändern und gezielt persönliche „Erinnerungsschätze“ aufzudecken. Alles, was sich spontan an positiven Erlebnissen im Bewusstsein präsentiert, ist wert, erzählt zu werden. Natürlich kann man auch in verborgene Winkel der Erinnerung hineinstöbern, etwa alte Fotos oder Briefe ausfindig machen, um wertvolle Momente, sprich „innere Lebensschätze“ aufzuspüren und in die Gegenwart zu integrieren.
Über Erlebtes nachzudenken und darüber zu sprechen, offenbart somit gerade für einsame Menschen, eine neue Art der Lebens(rück)schau. Statt negativen Gedankenschleifen nachzuhängen, sollen Ressourcen aufgedeckt, neue Erzählstränge auf der Basis konkreter Erfahrungen entwickelt und mit dem Gegenüber geteilt werden. In mehreren Gesprächen mit den Zuhörer*innen lernt man auf diese Weise also nicht nur sein Leben anders wahrzunehmen, Stärken zu erkennen und eigene Ressourcen zu re-aktivieren, sondern man erfährt über den Austausch eine neue Art sozialer Verbundenheit, die einen auch sich selbst näherbringen kann.
Schöne Augenblicke festhalten – analog oder digital
Neben dem Prozess des Erzählens, Gehört- und Verstandenwerdens, liefert das Sharing Stories-Projekt auch Grundlagen, um die Erzählungen in unterschiedlicher Form aufzubewahren. Sei es durch Verschriftlichung in ein dafür eigens vorgesehenes Geschichtenbüchlein, in das sich auch Fotos und Bilder integrieren lassen oder durch die Nutzung einer neu entwickelten webbasierten Story-tree Applikation. Schließlich hat das Projekt ebenfalls den Anspruch, gerade älteren Menschen mit „wenig digitaler Erfahrung“ auf spielerische Art, Lust am Ausprobieren moderner Technologien zu machen.
Auf der Webseite des Projektes www.story-tree.eu sind detaillierte Informationen zu den Inhalten, den Teilnahmebedingungen und der digitalen Applikation einsehbar. Zudem sind alle Materialien (u.a. Manuale für Geschichtenerzähler*innen und –zuhörer*innen) gratis zum Herunterladen verfügbar.
‚Sharing Stories, Sharing Life‘ ist ein Projekt unter dem Dach von Erasmus+ KA2 – Cooperation for Innovation and the Exchange of Good Practices und KA204 – Strategic Partnerships for Adult Education. Projektdauer 2018 bis 2021. Projektpartner: National Foundation for the Elderly (NL), Cambridgeshire County Council (UK), GERO Kompetenzzenter fir den Alter (L), LIFEtool (A), Netural (A).