Ein tierisch menschliches Konzept
Jeden Monat präsentieren wir Ihnen eine neue Ausgabe unserer Reportage „Best Practice – Innovatioun deelen“, bei der wir im ganzen Land unterwegs sind, um die inspirierendsten neuen Methoden und fortschrittlichsten Projekte der Luxemburger Senior*innen- und Pflegeeinrichtungen zu entdecken.
In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen eine Institution vor, die sich vor allem durch ihre menschliche Betreuung und die Förderung einer autonomen und sinnvollen Beschäftigung ihrer Senior*innen auszeichnet. Seit vier Jahren ist die Seniorenresidenz an de wisen in Bettemburg nun bereits dabei, das Humanitude-Programm umzusetzen, um mit dieser Initiative ihr Engagement hervorzuheben, den 146 Bewohner*innen ein angenehmes und würdevolles Zuhause zu bieten. Doch damit nicht genug. Denn die Einrichtung hat ein ganz besonderes Konzept auf die Beine gestellt, das die Senior*innen nun bereits seit 2008 anhand von tier- und naturgestützter Betreuung fördern möchte: Medana – Mediation Animale Nature.
Bereits beim Betreten des Foyers der Residenz fällt der Blick auf den üppig begrünten Wintergarten, der mit einem Fischteich und zahlreichen, teils exotischen Pflanzen sowie fröhlichem Vogelgezwitscher zum Verweilen einlädt. Der großzügige Park, der das Pflegeheim umgibt, bietet seinen Bewohner*innen zudem mehrere Gehege mit unterschiedlichen Tieren, Hochbeeten und seit diesem Frühjahr auch einem Gewächshaus, in dem die Bewohner*innen selbst aktiv werden können.
Mediation mithilfe von Tieren und Natur
Das Team von Medana – kurz für: Mediation Animale Nature – verfolgt ein ganzheitliches Konzept der Lebensraumgestaltung, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Bewohnerinnen und Bewohnern eine Umgebung zu schaffen, die neugierig macht und die Kommunikation sowie die Bewegung anregt, sowohl drinnen als auch im Außenbereich.
Ein zentrales Element des Medana-Konzepts ist die tier- und naturgestützte Betreuung. Dabei sind die Tiere nicht nur bloße Bewohner*innen der Seniorenresidenz an de wisen, sondern Teil der Lebensraumgestaltung. Im Wohnbereich leben beispielsweise Katzen sowie Papageien und es werden Präsenzhunde eingesetzt, die die Senior*innen auf ihren Zimmern besuchen, und mit dem pädagogischen Personal kommen und gehen. Im Foyer und Wintergarten kann man Kanarienvögel und Sittiche, Fische und Meerschweinchen beobachten und im Außenbereich trifft man auf Ziegen, Kaninchen und Hühner. Die Tiere sollen in diesem Kontext nicht nur als Gesprächsthema dienen, sondern auch als Medium zur Förderung der Interaktion und der Beschäftigung in pädagogischen Kontexten, sei es in der Gruppe oder alleine in Begleitung eines*r Betreuers*in.
„Wir versuchen, die Menschen aufzufangen, die nicht bei den Standardaktivitäten mitmachen wollen. Diejenigen, die nicht kochen, backen und singen möchten. Wir machen sehr viele Nischenaktivitäten mit ihnen, das ist unsere Spezialität.“ Anette Bull, Diplompädagogin in der Residence an de wisen
Die Tiere werden in Bettemburg nicht nur zur Beobachtung gehalten, sondern erlauben es den Bewohner*innen, aktiv in ihrer Pflege und Betreuung mitzuwirken, erklärt der Leiter der Pflegeabteilung Guy Zoller.
In diesem Sinne sind die Tiergehege drinnen und draußen den Bedürfnissen der Bewohner*innen auf unterschiedlichen Niveaus angepasst. So sind sie beispielsweise rollstuhlgerecht gestaltet und die Tiere haben kontrastreich gemustertes Fell, das von Bewohner*innen mit Sehschwäche gut wahrgenommen werden können.
Interessierte Senior*innen bekommen biografisch angelegte Aufgaben zugeteilt, die auf ihre individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen abgestimmt sind. Diese beinhalten die Unterhaltung der Einrichtungsgegenstände sowie die Herstellung von neuem Beschäftigungsmaterial für die Tiere. So können sie zum Beispiel Meerschweinchen füttern, die Volieren sauber machen oder neu dekorieren, Ziegen und Kaninchen füttern und streicheln oder mit den Hunden interagieren. Die Hunde werden täglich von den Betreuer*innen selbst mitgebracht und sind speziell für diese Situation ausgebildet.
Im Alltag und bei den Interaktionen wird vor allem darauf geachtet, dass das Wohlbefinden der Tiere genauso im Mittelpunkt steht wie das der Bewohner*innen. Dafür sorgen vier pädagogische Mitarbeiter*innen, die eine Ausbildung in der tiergestützten Betreuung absolviert haben und sich dementsprechend ganz besonders mit der Pflege und den Bedingungen der Tierhaltung auskennen. Geleitet wird das Team von Diplom-Pädagogin Anette Bull, die neben ihrer Aktivität in Bettemburg außerdem an verschiedenen Instituten in Deutschland zu diesem Thema doziert. Daneben leitet sie regelmäßige Weiterbildungskurse in Teilgebieten der tiergestützten Betreuung in den Räumlichkeiten der Residenz in Bettemburg. In diesem Sinne steht sie gerne für die Beratung von interessierten Kollegen und Kolleginnen aus anderen Einrichtungen zur Verfügung und kann dank ihres extensiven Netzwerks ausgezeichnete pädagogische Institutionen für eine umfangreiche Ausbildung in diesem Bereich empfehlen. Für Anette Bull ist die Seniorenresidenz an de wisen mit ihrem innovativen Konzept auf jeden Fall „der beste Arbeitsplatz, den man sich denken könnte.“
Glückliche Zufälle und eine beispielhafte Unterstützung
„Von der Idee, Ziegen aufzunehmen bis zur tatsächlichen Umsetzung dieses Konzeptes sind sieben Jahre vergangen“, erklärt Guy Zoller. Zunächst wollte er versuchen, externe Firmen für die tiergestützte Betreuung ins Heim zu holen, doch das wäre sehr teuer geworden und durch die unregelmäßigen Aufenthalte hätte keine vorteilhafte Beziehung zwischen den Mitarbeiter*innen und den Bewohner*innen aufgebaut werden können. Das ist nun mittlerweile 15 Jahre her. Dann traf das Team der Residenz durch einen glücklichen Zufall auf Anette Bull, die genau dieses Konzept umsetzen wollte.
„Der Hauptgrund für die Idee mit den Tieren war es, den Menschen Aktivitäten anzubieten, die einen Sinn ergeben. Ich bin allergisch darauf, wenn die Menschen malen und basteln wie im Kindergarten, obwohl es erwachsene Menschen sind“, erläutert Guy Zoller. Um also den Bewohner*innen Aktivitäten zu bieten, die ihrem Alter angemessen sind und ihr Wohlbefinden sowie ihre persönliche Entwicklung fördern, wurde das Medana-Projekt ins Leben gerufen.
„Der Hauptgrund für die Idee mit den Tieren war es, den Menschen Aktivitäten anzubieten, die einen Sinn ergeben. Ich bin allergisch darauf, wenn die Menschen malen und basteln wie im Kindergarten, obwohl es erwachsene Menschen sind.“ Guy Zoller, Leiter der Pflegeabteilung
Doch leider ist ein solches Projekt sehr kostenaufwendig. An dieser Stelle kam es der Seniorenresidenz an de wisen zugute, dass sich ihre Amicale eine Freude daraus macht, all die innovativen Aktivitäten und Projekte der Residenz finanziell zu unterstützen. Sowohl die Anschaffung und der Aufbau der Gehege als auch die regelmäßigen Unterhaltskosten werden demnach von der Amicale getragen.
Auch die Direktion des Pflegeheims war von Anfang an einverstanden, genügend Teammitglieder für die Aufgaben der tier- und naturgestützten Aktivitäten freizustellen. Dieser Aspekt ist unabdingbar für die Umsetzung eines solchen Projektes und bei Weitem keine Selbstverständlichkeit.
Zusätzlich fallen die Aktivitäten des Medana-Projektes unter die Activités d’accompagnement à l’Indépendance (AAI) der Assurance Dépendance und werden dementsprechend übernommen.
Erholung und Naturerlebnis
Die Außenbereiche der Seniorenresidenz an de wisen bieten den Senior*innen eine Vielzahl an Möglichkeiten, um sich im Freien zu beschäftigen und sich mit der Natur zu verbinden. Neben dem Kaninchen- und Hühnergehege ist besonders das Ziegengehege ein beliebter Treffpunkt für die Bewohner*innen und ihre Familien.
Dank eines Futterautomaten, der mit dort bereitliegenden Münzen bedient werden kann, haben die interessierten Bewohner*innen die Möglichkeit, die Tiere zu füttern und mit ihnen zu interagieren. Außerdem lieben es die Ziegen gestreichelt zu werden. „Sie haben generell ein soziales Verhalten. Man muss sie nur daran gewöhnen, dass der Mensch ihnen guttut, dass der Mensch Genuss schenken kann“, erklärt Anette Bull.
Jedes Jahr kommen außerdem neue Zicklein zur Welt, die den Bewohner*innen und auch ihren Familien ganz besonders große Freude bereiten – vor allem, wenn sie mit der Flasche gefüttert werden können. Die Namen für die neugeborenen Zicklein werden dann jedes Jahr zusammen mit den Senior*innen ausgesucht.
Die Nachzuchten werden dann an Kinder-Bauernhöfe oder an therapeutische Einrichtungen abgegeben, wo sie nicht geschlachtet werden, sondern weiterhin eine sinnvolle Aufgabe erfüllen können.
Um die Organisation der Mitarbeiter*innen zu vereinfachen, hat das Team besonders darauf geachtet, Tierarten auszuwählen, die über das Wochenende selbstständig und ohne menschliche Pflege auskommen können. Bei Ponys und Schweinen wäre das zum Beispiel so nicht möglich.
Der grüne Daumen
Und da der Mensch in seinem natürlichen Lebensraum sowohl von Tieren als auch von Pflanzen umgeben ist, wurde im Bettemburger Pflegeheim ebenfalls ein Garten mit mehreren Hochbeeten und einem erst vor Kurzem eingeweihten Gewächshaus angelegt. Dort können die interessierten Senior*innen Blumen, Kräuter und Gemüse säen, pflanzen, pflegen und ernten. Um ihre Autonomie zu unterstützen, haben die Bewohner*innen stets ein Mitspracherecht, wenn es darum geht, die zu pflanzenden Nutz- und Zierpflanzen auszusuchen. Auch bei der Art und Weise der Bepflanzung haben die Bewohner*innen freie Hand. Neben den gemeinsamen Hochbeeten gibt es noch einige kleinere individuelle Beete, die rollstuhlgerecht konzipiert sind.
In der Nähe der Gartenanlage wurden vor wenigen Jahren außerdem Spalierbäume gepflanzt, die viel niedriger sind als reguläre Obstbäume und es den Bewohner*innen somit ermöglichen, Äpfel und Birnen autonom zu pflücken.
Eine Rosenallee mit unzähligen einheimischen Rosenarten lädt die Bewohner*innen zum Spazieren und Verweilen ein, während ein kürzlich angelegtes Schnittblumenbeet ihnen die Möglichkeit gibt, im Sommer ihre eigenen Blumen zu pflücken, um damit ihr Zimmer zu dekorieren.
Kreative Handarbeit
Neben diesen zahlreichen Aktivitäten im Garten und den Tiergehegen bietet das Medana-Team ein kreatives Holzatelier an, bei dem hochwertige kunstvolle und praktische Holzgegenstände hergestellt werden. Die Rohlinge werden bereits extern vorgefertigt, damit sie gewisse praktische und ästhetische Standards erfüllen, und dann von den Senior*innen weiterverarbeitet und verfeinert. Die fertigen Produkte – wie z.B. Topfuntersetzer, Schlüsselanhänger oder dekorative Elemente – werden anschließend im Foyer des Altersheims verkauft.
Dieser Shop bildet den Beginn eines Kreislaufs. Der Erlös der Verkäufe geht nämlich direkt an die Amicale der Residenz, die dann im Gegenzug wieder Projekte und Aktivitäten sowie Material für die Senior*innen finanziert. „Das ist sehr symbolisch für die Bewohner*innen, die auf diese Weise dazu beitragen können, die hauseigene Animation mitzufinanzieren. Dies gibt ihnen eine aktive Rolle“, fügt Guy Zoller hinzu. Anette Bull nennt dies den „Prozess der Wertschöpfung“, welcher den Bewohner*innen ein Gefühl der Selbstständigkeit und der Verantwortung vermittelt.
All diese unterschiedlichen Aktivitätszonen tragen dazu bei, dass jede*r Bewohner*in genau der Aktivität nachgehen kann, die sie oder ihn erfüllt und vielleicht lernen sie sogar auch noch etwas Neues hinzu. „Wir suchen den Knopf, um den Menschen zu erreichen“, beschreibt es Anette Bull sehr passend. „Wir versuchen die Menschen aufzufangen, die nicht bei den Standardaktivitäten mitmachen wollen. Diejenigen, die nicht kochen, backen und singen möchten. Wir machen sehr viele Nischenaktivitäten mit ihnen, das ist unsere Spezialität.“
Und das können die Bewohner nur bestätigen: Frau Kinsch ist eine begeisterte und regelmäßige Besucherin des Holzateliers. Hier in der Seniorenresidenz an de wisen hat sie eine neue Leidenschaft entdeckt und erlernt: die Holzarbeit. „Das macht mir große Freude. Man kann ja nicht nur den ganzen Tag ins Leere starren oder spazieren gehen.“ Obwohl sie auch gerne im Garten die Ziegen besucht und den Zicklein beim Spielen zuschaut, ist sie stets froh, wenn sie sich handwerklich betätigen kann. „Wenn man Lust hat, sich zu beschäftigen, dann findet man hier immer was. Es wird einem nicht langweilig.“
Auch Frau Alesch liebt es, sich kreativ mit den Händen zu betätigen. Neben wunderschönen Blumenarrangements und Ton-Dekoelementen hat sie sogar selbst Tiffany-Lampen hergestellt. Und wenn sie gerade nicht am Werkeln ist, dann profitiert sie von der üppigen Parkanlage des Hauses, um die frische Luft zu genießen. „Ich muss einfach draußen sein“, erklärt sie. Und deswegen ist sie auch besonders froh über ihr Zimmer mit Blick über den Park und das Ziegengehege.
Es ist also offensichtlich, dass das Konzept der natur- und tiergestützten Betreuung in der Seniorenresidenz an de wisen seine Früchte trägt. Mit der notwendigen finanziellen und administrativen Unterstützung könnte dieses innovative Konzept in vielen weiteren Institutionen des Landes umgesetzt werden, um so vielen Senior*innen wie nur möglich sinnvolle und altersgerechte Beschäftigung zu garantieren.
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